Mein Eindruck vom Niu:
Wenn er genauso hochwertig ist wie er auf der Website dargestellt wird, dann ist er ein gutes Angebot. Wie aber so häufig, muss man sich auf der Hochglanz-Website wichtige Infos erst mühsam zusammensuchen. Beispielsweise ist an mehreren Stellen die Rede davon, dass der Akku eine Kapazität von 29 Ah habe. Ohne die Angabe einer Spannung ist diese Information aber nutzlos. Die Akku-Spannung wiederum findet man aber nur an einer einzigen Stelle, und zwar auf
http://www.niu.com/de/n1s/specs. Sie soll 60 Volt betragen, woraus sich eine rechnerische Akku-Kapazität von 1,74 kWh ergibt. An diesem Wert kann man allerdings berechtigte Zweifel haben, denn er basiert auf der Ladeschlussspannung und nicht auf der Zell-Nennspannung (Erläuterung s. u.). Jedenfalls müsste an jeder der zahlreichen Stellen, an denen die 29 Ah genannt werden, stattdessen die Kapazität in kWh angegeben werden.
Eine weitere Unstimmigkeit ergibt sich beim Aufbau des Akkus. Angeblich besteht dieser aus 180 Stück Panasonic-Zellen NCR18650PF. Dabei handelt es sich um LiNiCoAl-Zellen mit einer Nennspannung von 3,7 Volt und einer Kapazität von 2750 mAh. Problem bei der Sache: um aus diesen Zellen 60 Volt zu bekommen, muss man 16 Stück davon in Reihe schalten. Die Gesamtzahl der Zellen (180) ist aber nicht durch 16 teilbar. Die Abbildung des Akkus auf
http://www.niu.com/de/n1s/battery lässt auch eher vermuten, dass es sich um eine 15s12p-Verschaltung handelt. 15x12 ergibt genau 180, das würde also passen. Allerdings kommt man bei einer Reihenschaltung aus 15 Zellen des genannten Typs nur dann auf 60 Volt, wenn der Akku voll geladen ist. Bei Zell-Nennspannung hat der Akku nur noch 55,5 Volt. Mit Verlaub, aber für den Akku unter diesen Umständen eine Spannung von 60 Volt zu nennen, ist in meinen Augen unseriös (und passt auch dazu, dass überall nur der nichtssagende Amperestunden-Wert genannt wird, während die Spannung nur an einer einzigen Stelle im Kleingedruckten zu finden ist). Zum Vergleich: mein Novantic-Akku besteht aus 196 LiNiCoMn-Zellen in 14s14p-Verschaltung. Die Zell-Nennspannung beträgt 3,6 Volt. Emco gibt für den Akku eine Spannung von 48 Volt an. Tatsächlich ist die Akku-Nenn(!)spannung sogar noch etwas höher, denn 14 x 3,6 Volt ergeben mehr als 48 Volt, nämlich 50,4 Volt. Voll geladen liegt die Spannung sogar um ganze 10 Volt über der von Emco angegebenen Nennspannung.
So hat eine seriöse Spannungsangabe auszusehen.
Wenigstens stimmt beim Niu aber der angegebene Ah-Wert (zumindest auf dem Papier): 12 x 2,75 Ah ergeben tatsächlich sogar 33 Ah. Möglicherweise hat man Sicherheits-Reserven eingebaut bzw. gibt die Kapazität auch bei hohen Entladeströmen an. Das wäre löblich. Ebenso löblich ist es, dass man Marken- anstatt China-NoName-Zellen verbaut hat.
Der Einbauort des Akkus im Trittbrett hat Vor- und Nachteile. Die Hauptvorteile dürften der tiefliegende Schwerpunkt und der Umstand sein, dass der Akku im Sitzbank-Fach keinen Platz wegnimmt und der Roller somit vergleichsweise viel Stauraum bietet. Der Nachteil besteht darin, dass der Abstand zwischen Trittbrett und Sitzfläche kleiner wird, was speziell großgewachsene Fahrer in eine unbequeme Sitzposition zwingen dürfte.
Angesichts der Tatsache, dass sich nur ein Akku einsetzen lässt, finde ich 1,74 kWh ein bisschen dürftig. Auch dürfte die angegebene Reichweite (80 km) mit dieser Kapazität nur schwer bis gar nicht erreichbar sein. Die Motor-Dauerleistung ist mit 1,5 kW auch etwas knapp. Beim Beschleunigen dürfte das weniger ins Gewicht fallen, denn dann stehen bis zu 2,4 kW Spitzenleistung zur Verfügung. Bei längeren Steigungen oder beim Fahren zu zweit sind 1,5 kW aber etwas wenig. Die Spitzenleistung dürfte nicht über längere Zeit abrufbar sein. In solchen Fahrsituationen dürfte der Roller daher eher gemächlich zu Werke gehen.
Ganz und gar nicht einverstanden bin ich mit der Ladezeit. 6 Stunden sind (auch angesichts der geringen Reichweite) zu viel. Die Hälfte wäre ok. Geladen wird mit 4 Ampere, für eine akzeptable Ladezeit müsste man den Ladestrom also verdoppeln. Ein Akku mit 29 Ah dürfte sich problemlos mit mindestens 8 A laden lassen, ohne gestresst zu werden. Technisch machbar wäre eine Halbierung der Ladezeit also.
Auch einen Gepäckträger vermisse ich, aber vielleicht gibt es den ja als Sonderzubehör.
Das Design des Rollers gefällt mir gut. Schick finde ich auch die LED-Beleuchtung und die elektronische Ausstattung. Auch den Preis finde ich angesichts des Gebotenen in Ordnung.
Gruß
Michael