Ca. 30 Pässe, 80.000 Höhenmeter, 2500km; 8 Tage, elektrisch: Wie geht das?

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Ca. 30 Pässe, 80.000 Höhenmeter, 2500km; 8 Tage, elektrisch: Wie geht das?

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Hallo,
nachdem ich inzwischen meine Elektrische fast zwei Jahre habe, wurde es Zeit für einen ultimativen Benchmark gegen meinen Benziner. Letztes Jahr hatte ich schon einen kleinen Vergleich gemacht und hier im Forum gepostet (viewtopic.php?f=12&t=42196).

Nachdem wir inzwischen mit der Benzinergruppe Anfang letzten September die Route des Grandes Alpes (https://de.routedesgrandesalpes.com) gemacht hatten und dieses Jahr im Juni in der Toskana waren, was lag da näher als beides zu verbinden und das Ganze elektrisch zu fahren. Also von Zuhause an den Genfer See, die RdGA nach Menton, die Via Aurelia entlang der Riviera in die Garfagniana/Toskana und von dort wieder über Südtirol zurück.

ChatGPT hat mir folgende Zusammenfassung gemacht:

„Rundtour 2025: ca. 2.500 km, 80.000 Höhenmeter, 30 Alpenpässe bis 2.802 m, mit Sonne, Regen, Schnee und Gewitter – von Schwaben über Savoyen, Piemont, Toskana, Graubünden und Südtirol zurück.
E-Fahrt mit ca. 150 kWh (100 € Strom), teils knapper Ladung, fahrerisch fordernd (ABS/Traktionskontrolle), aber voller Highlights: Bonette, Iseran, Stilfser Joch und Riedbergpass.“

Wobei die KI wie so oft mal wieder ein wenig halluziniert. Wo, dürft ihr nach Lesen des Berichtes gerne selber feststellen.

Ich wollte wissen, wie sich mein
  • naked E-Motorrad mit 230kg, 200km/h, 40kw, 190Nm gegen meinen
  • naked Reihenvierzyliner 237kg, 270km/h, 120kw, 120Nm
auf dieser ultimativen Traumtour so schlägt.

Ich hatte daher (bis auf die Via Aurelia) dieselben Tagesetappen und dreimal sogar dieselben Hotels geplant wie auf dem Benziner-Trip, vier Hotels waren zumindest in derselben Region.

Es kommen noch separate Posts zu:
  • Liste der Wegpunkte
  • Wetter
  • Energiehaushalt
  • Fahrerisches
  • Das mit dem „Sound“
  • sonstige Reiseanekdoten
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Tour final.png
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Anbei die Liste der Wegpunkte:

Nummern markieren die befahrenen Pässe.
Kleinbuchstaben stehen für die Mittagspausen – mit ausgiebigem Essen und oft einem kurzen Stadtbummel, inklusive Laden des Motorrads.
Großbuchstaben kennzeichnen die Übernachtungen mit Essen und Laden

Die Tagesetappen lagen wie mit dem Benziner jeweils bei etwa 300 km (+/–).

A Start Zuhause: 500m üNN
0 Knopfmacherfelsen: 765m
b Tiengen: 360m
C Bulle: 770m
1 Col des Gets: 1163m
d Thyez: 470m
2 Col de la Colombière: 1613m
3 Col des Aravis: 1487m
4 Col des Saisies: 1650m
5 Cormet de Roselend: 1967m
E Bourg Saint Maurice: 820m
6 Col de l’Iseran: 2764m, höchster Pass Frankreichs und der Alpen
7 Col du Télégraphe: 1566m
f Valloire: 1450m
8 Col du Galibier: 2645m
9 Col du Lautaret: 2058m
10 Col d’Izoard: 2360m
11 Col de Vars: 2109m
G Jausiers: 1250m
12 Col de Raspaillon: 2513m
13 Col de la Bonette: 2715m
14 Cime de la Bonette: 2802m, höchster asphaltierten Punkt Europas
15 Col de Restefond: 2680m
16 Col Saint-Martin: 1500m
17 Col de Turini: 1607m
18 Col de Castillon: 706m
h Menton: 3m (von hier ab Via Aurelia SS1/SR1)
I Diana Marina: 3m
19 Passo del Bracco: 615m
j La Spezia: 3m (Via Aurelia verlassen)
K Toskana/Garfagniana: 270m
20 Passo delle Radici: 1529m
21 Passo di Lagadello: 1617m
I Parma: 60m
M Montevecchia: 480m
22 Passo di Valcava: 1340m
23 Passo San Marco: 1991m
n Sondrio: 310m
24o Berninapass: 2235m.
25 Passo Forcola di Livignio: 2315m
26 Ofenpass: 2150m
27 Umbrailpass: 2501m
28 Stilfser Joch: 2757m, höchster Pass Italiens
P Franzenshöhe: 2188m
29 Reschenpass: 1507m
30 Arlbergpass: 1793m
31 Flexenpass: 1773m
q Lech: 1444m
32 Riedbergpass: 1404m (höchster Pass Deutschlands)
r Isny: 700m (Freunde besuchen)
S Ende Zuhause: 500m

„Zufällig“ hat meine Familie in der Garfagniana Urlaub gemacht. Also gab es dort ein paar Tage Pause.

Hier ein Foto am höchsten asphaltierten Punkt der Alpen und zugleich die höchstgelegene Einbahnstraße am Cime de la Bonette ;)
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Cime2.png
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Das Wetter war deutlich besser als erwartet – ja, sogar besser als auf meinen Benzinertouren!
Den Regenkombi habe ich insgesamt nur fünfmal gebraucht:
  • Gleich am ersten Vormittag durfte ich drei Stunden lang durch eine Schlechtwetterfront schwimmen.
  • Am Iseran (6) musste ich mich durch die Wolkendecke mit Nieselregen hochkämpfen, oben gab’s dann eine Gratisportion Schneeflocken, aber die Straße war frei.
  • Vor Genua kam ein Gewitter runter und das Mittelmeer war auch ziemlich aufgewühlt.
  • Der heilige Marco hat mich am Pass (23) mit Wolken und Nieselregen empfangen
  • Zwischen Reschenpass (29) und Landeck durfte der Regenkombi nochmal ans Tageslicht.
Ansonsten: bestes Kaiserwetter, höchstens mal ein paar harmlose Tropfen. Richtig nass wurde ich nur beim Gewitter vor Genua – und zwar von innen. An der warmen Riviera den Regenkombi zu früh angezogen und viel zu spät wieder ausgezogen … Sauna-Effekt inklusive.

Am Stilfser Joch gab’s nachts zwar Schneefall, morgens war die Straße aber wieder frei. Und ja, es war stellenweise so frisch, dass sogar die Griffheizung arbeiten durfte – die fühlte sich nach all den Sommertagen wahrscheinlich genauso überflüssig wie ein Heizstrahler in der Sahara.
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Nun zum spannendsten Teil: Wie weit kommt man wirklich?

Das war übrigens die Frage, die mir unterwegs am häufigsten gestellt wurde – auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.

Was hatte ich mir vorher den Kopf über die Planung der Ladestopps zerbrochen! Komme ich den Pass noch hoch? Wie schnell darf ich fahren, um die nächste Station zu erreichen? Was, wenn die Ladesäule streikt? Alles totale Zeitverschwendung!

Die Realität: Entlang der Route gab es so viele Typ-2-Lader und das Motorrad lieferte solch erstaunliche Reichweiten, dass die ganze Reichweitenangst schon am ersten Nachmittag in Rauch aufging.

Nur am ersten Vormittag musste ich ungeplant an einem Supermarkt 1 kWh nachladen – fünf Minuten Stopp wegen einer Umleitung. Eigentlich unnötig, denn in Tiengen (b) habe ich dann 14 kWh geladen, also hätte es locker ohne das „Sicherheits-Kilowatt“ gereicht. Nachmittags kam ich im Hotel in Bulle (C) mit über 100 km Restreichweite an und brauchte gerade mal 10 kWh. Sprich: Ich hätte die komplette Schweiz vom Rhein bis an den Genfer See ohne Zwischenladung durchqueren können – und mir das schlechteste (und teuerste) Hotel der Tour sparen. Das alles nur, weil ich in der Schweiz brav keine Maut gezahlt und die Tempolimits eingehalten habe.

Am zweiten Tag startete die Route des Grandes Alpes. Bergauf Mehrverbrauch, bergab praktisch Null. Anfangs war ich skeptisch, aber in Thyez (d) rollte ich wieder mit rund 100 km Restreichweite ein. Dreigängemenü plus Café am See, kurzer Spaziergang zur Ladesäule – und danach war die Batterie bei 110% (9,1kWh geladen). Kurvenjagd und Serpentinen? Kein Problem, kaum hohe Geschwindigkeiten und was bergauf an Energie verschwindet, kommt bergab teilweise wieder zurück.

In Bourg Saint Maurice (E) gab’s dann einen kleinen Überraschungsmoment: Die geplante Station existierte nicht. Lösung: Hotelier hat ein Verlängerungskabel gelegt, ich habe an der Steckdose geladen und er ein dickes Trinkgeld kassiert. Win-win.

Am dritten Tag habe ich die Restreichweite schon gar nicht mehr angeschaut. Selbst die höchsten Pässe konnte ich völlig entspannt fahren: mal bummelnd, mal mit Kurvenhunger – kein Unterschied zu einem Benziner.

In Valloire (f) fürchtete ich Offroad-Messe-Chaos an den Säulen – Fehlanzeige. Offroader fahren nun mal nicht elektrisch, also war die Ladestation direkt am Eingang zur Messe mitten im Dorf quasi für mich reserviert. Während das Motorrad mit Strom gefüttert wurde, habe ich mir allradgetriebene Pickups mit Wohnkabine angeschaut und danach entspannt gegessen. Ergebnis: 110% Akku.

In Jausiers (G) gab es zwar eine Tankstelle, doch der Besitzer ließ mich lieber in seiner Privatgarage laden – wieder mit Trinkgeld belohnt. Am letzten Tag der RdGA habe ich meinen geplanten Mittagstopp gestrichen und erst in Menton (h) am Meer geladen(10kWh) . Nach 198 km hatte ich noch 137 km Restreichweite – ich wäre also sogar ohne Nachladung bis ans Hotel an der Riviera gekommen. Vom höchsten Punkt, der Cime de la Bonette (2.802 m), geht’s eben fast nur bergab – Reichweite deluxe. Mit keinem meiner Benziner habe ich je 330 km am Stück geschafft. Am Cime de la Bonette hatte die Maschine 130Wh/km angezeigt, in Menton dann wieder 52Wh/km.

In Diana Marina (I) lud ich bequem an der Hotel-Wallbox, dann ging’s die Via Aurelia am Mittelmeer entlang. In Genua hätte ich eigentlich nachladen wollen, aber das Verkehrschaos war unzumutbar – also direkt weiter nach La Spezia (j). Nach 240 km kam ich mit 26 km Restanzeige an, lud kurz nach(10kWh), aß zu Mittag und rollte weiter die 75km in die Garfagnana (K). Dort durfte mein Motorrad in einer Garage zwischen Vespas und Moto Guzzis schlafen. Beim Laden in der Nacht vor der Abfahrt hat der Besitzer es „zur Sicherheit“ bei 102 % abgesteckt, damit die Batterie nicht kaputtgeht. Süß – böse sein konnte ich da nicht.

In Parma (l) wollte ich unbedingt das Foto „Laden neben dem Dom“ schießen. Leider verweigerte die Station meine Karte – also 200 m weiter geladen und trotzdem ein nettes Bild ohne Domkulisse gemacht. Danach kam die Po-Ebene: langweilig, aber schnell erledigt.

In Montevecchia (M) überraschte das Hotel: beste Küche der ganzen Tour, im Restaurant stand eine Moto Guzzi GTV von 1930, und ich durfte mein Motorrad nachts auf der Terrasse parken – kein Krach, kein Gestank, kein Problem. Ladestation? Gab’s 100 m weiter, das wussten die nicht mal.

Dann endlich wieder Berge! Mittag in Sondrio (N), geladen in einer eigentlich für Motorräder verbotenen Tiefgarage – aber einem E-Motorrad die Ladesäule verbieten, das konnte ich unmöglich akzeptieren. Später ein kleiner Genuss-Ladestopp am Bernina (24+o): 3kWh plus Cappuccino und Foto. Hat sich gelohnt, denn danach kamen Ofenpass, Umbrail und Stilfser Joch mit Heerscharen von Motorradfahrern.

Auf der Franzenshöhe (P) lud ich an der brandneuen privaten Wallbox 10 kWh. Hätte auch ohne den Bernina gereicht, aber Reserven sind auf Heizerstrecken Gold wert. Nachts am Stilfser Joch schneite es, am Morgen hatte der Akku wegen Kälte nur noch 107 % statt 110 %. Dank Gefälle war er gleich wieder voll – allerdings schaltet das Motorrad bei voller Batterie die Reku ab, und wenn dann die Bremswirkung vor der Kehre fehlt, muss man doch wieder beherzt in die Vorderbremse greifen.

Letzte Lade-Stopps: Tiefgarage in Lech (q), wo die Kennzeichenerkennung mich nicht reinlassen wollte (Halbschranke? Kein Problem, einfach drumrum) und schließlich Isny (r), private Wallbox plus Kaffee bei Freunden.

Fazit: Für 2.500 km und 80.000 Höhenmeter habe ich etwa 150 kWh gebraucht – Kostenpunkt rund 100 €.
Probleme? Einmal Karte abgelehnt, einmal falscher Standort, dreimal Steckdose, dreimal private Wallbox. Batteriekapazität war nie das Thema – mein Hintern hat immer viel früher aufgegeben.
Mit zwei E-Motorrädern wäre die Tour auch noch gegangen. Mit mehr wäre es oft schwierig gewesen genug Ladeplätze zu finden.

Hier noch ein Beweis-Bild von izoardphotos.com – ich am Izoard und von der Restweitenanzeige nach dem Col de Restefond(15) (im Tal)
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Izoird.png
Reichweite.png
Zuletzt geändert von STF2023 am Mi 17. Sep 2025, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Ca. 30 Pässe, 80.000 Höhenmeter, 2500km; 8 Tage, elektrisch: Wie geht das?

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Nun etwas, das man kaum erklären kann sondern erleben muss: Wie fährt sich ein E-Motorrad auf so einer Traumstrecke im Vergleich zum Oberklassenbenziner?

Beide Motorräder sind Naked Bikes, das Gewicht ist fast identisch. Unterschiede: 40 kW vs. 120 kW Leistung, 190 Nm Drehmoment über einen breiten Drehzahlbereich vs. 120 Nm im optimalen Drehzahlband, „0 Zylinder“ gegen „4 Zylinder“. Was bedeutet das in der Praxis?

Leistung bei hoher Geschwindigkeit
Die 120 kW des Vierzylinders spielen ihre Stärke erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten (>150 km/h) aus, um den Luftwiderstand zu überwinden. Auf Alpenpässen ist das weder möglich noch gewollt – der Vorteil verpufft.

Drehmoment und Fahrbarkeit
Die 190 Nm des E-Motors stehen sofort und ohne Schalten zur Verfügung. Das sorgt am Hinterrad für Drehmomente nahe an der Haftungsgrenze der Reifen. Ein Vierzylinder kann – je nach Gang – punktuell höhere Kräfte erzeugen, aber nur in einem engen Drehzahlband. Am Ende regelt die Traktionskontrolle ohnehin alles ab. Entscheidend ist: Das gleichmäßig hohe Drehmoment des E-Motors ist viel einfacher und kontrollierter nutzbar – bei jedem Überholvorgang, jeder Serpentine und jedem Ampelstart.

Fahrdynamik und Handling
Der tiefere Schwerpunkt und das Fehlen schwerer rotierender Massen (Kurbelwelle, Getriebe, Kupplung) machen das E-Motorrad spürbar agiler. In engen Kehren lässt es sich leichter und präziser dirigieren.

Schaltkomfort
Beim E-Motorrad entfällt das Schalten komplett: kein falscher Gang, kein Abwürgen, kein Kupplungsspiel. Man ist automatisch immer im „richtigen Gang“ – das reduziert fahrerische Fehlerquellen und macht das Fahren entspannter, speziell in engen Serpentinen.

Ich bin bei Weitem kein Bummelfahrer – auch wenn es genug gibt, die noch tiefer in die Schräglage gehen als ich. Meine flensburggeschädigte Motorradfahrerseele meldet sich zuverlässig, sobald ich bei „Geschwindigkeitslimit + X“ unterwegs bin. Da macht’s keinen Unterschied, ob elektrisch oder mit Benzin.

Natürlich wollte ich auch diesmal meine fahrerische Kompetenz verteidigen. Auf den Bergstrecken hat mich nur eine Handvoll Benzinmotorräder überholt – und wirklich abgesetzt haben sie sich auch nur, wenn ich gerade Lust auf „Panorama-Modus“ hatte. Beim Kolonnenspringen kamen nur die schneller voran, die auch bei Gegenverkehr überholen – ein Club, dem ich lieber nicht beitrete. An Ampeln war es dagegen fast unfair: Während die Benziner noch am Kupplungshebel nestelten, war ich schon längst unterwegs.

Mit dem E-Motorrad war die Strecke insgesamt deutlich entspannter zu fahren. Vermutlich hatten auch die längeren Mittagspausen ihren Anteil daran, aber das Plus an Leichtigkeit war unübersehbar.

Am frappierendsten war der Unterschied am Col du Télégraphe (7). Eine perfekt ausgebaute Passstraße, zweispurig, Kehren satt – und eine endlose Blechkolonne direkt nach der Einfahrt. Mit der Agilität und dem spontanen Antritt des E-Motorrads konnte ich überholen, wo ich mit dem Benziner nur resigniert hinterhergerollt wäre. 10 Minuten lang sprang ich von Auto zu Lkw zu Wohnmobil, bis ich die Quelle allen Übels eingeholt hatte: einen alten, stinkenden VW-Bus an der Spitze. Ein bisschen Genugtuung war schon dabei. Ähnlich spaßig war’s später auch auf der Via Aurelia – viel Verkehr, viele Chancen zum „Kolonnenspringen“.

Und dann die Ampeln, besonders in Italien: Wie üblich drängeln sich alle Roller und Motorräder nach vorne, während die Autos brav Platz lassen. Viele Benziner spielen nervös am Gas. Grün! – die Automatik-Roller schießen los, die Motorräder holen mit Leistung bald auf … und ich? Ich stand still, ohne jedes Motorengeräusch – und war schon weg, bevor die anderen überhaupt mit dem Gashandwerk fertig waren.
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Wieviel Sound muss sein? Und was ist überhaupt „Sound“?

Reifen- und Windgeräusche haben alle Motorräder. Der Unterschied liegt beim Motor:
  • E-Motorrad: kein Getriebe, keine Explosionen – also leiser, und der Sound steigt einfach linear mit der Geschwindigkeit.
  • Verbrenner: Drehzahlabhängig, durch Gänge entkoppelt von der Geschwindigkeit. Ergebnis: In niedrigen Gängen wird’s schnell laut, auch wenn es gar nicht schnell vorwärtsgeht. Hersteller nutzen das clever – oder sagen wir lieber: sehr bewusst. Akustische Beschleunigung statt echter.
Das können E-Motorrad-Hersteller nicht faken – sie müssen echte Beschleunigung liefern. Tun sie auch.

Ob ein Sound nun „schön“ ist, hängt stark vom Zuhörer ab. Fahrer, Anwohner und überholte Radfahrer haben da oft sehr verschiedene Meinungen. Ich habe unterwegs mit einigen gesprochen – und die fanden das Surren meines E-Motorrads genauso positiv wie ich.

Besonders auffällig wird der Unterschied im Alltag: An Ampeln, Kreuzungen, in Ortschaften – elektrisch ist eben leise. In Parma habe ich mich sogar versehentlich in eine Fußgängerzone verirrt und bin zusammen mit Fahrradfahrern seelenruhig an Café- und Restaurantterrassen vorbeigerollt. Kein böser Blick, nur erstaunte Gesichter.

Und doch: Man wird wahrgenommen. Auf den Pässen wurde ich regelmäßig angesprochen. Einige sagten mir sogar: „Wir haben dich schon am letzten Pass bemerkt – da ist ein leise surrendes Motorrad an uns vorbeigezogen.“ Ich bin mir sicher, besonders die vielen Radfahrer haben diesen Unterschied genossen.
Zuletzt geändert von STF2023 am Mi 17. Sep 2025, 12:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Sonstige Reiseanekdoten

Wie ihr oben schon lesen konntet, war die Tour insgesamt ziemlich entspannt – kritische Momente gab es nur wenige: zwei ABS-Bremsungen und vier Eingriffe der Traktionskontrolle.

Die erste Vollbremsung passierte an der Riviera, kurz nach Genua. Das Auto vor mir stand plötzlich auf der Bremse – Grund: ein Fußgänger, der es tatsächlich wagte, an einem Fußgängerüberweg die Straße zu überqueren. Frechheit! Zum Glück haben meine Reflexe und das ABS tadellos funktioniert. Die zweite Bremsung war in den Apenninen, als ein Hund ohne Zebrastreifenpflicht querte. Auch da: alles gut gegangen.

Die Traktionskontrolle hat viermal eingegriffen – jedes Mal bei trockener Straße, aber auf weißen Streifen oder Fußgängerüberwegen, wenn ich etwas beschleunigt habe (Kolonnenspringen lässt grüßen). Mit meinen bisherigen Benziner-Reifen hatte ich so etwas nie – und eigentlich sollte eine italienische Firma wie Pirelli auf italienischen Straßen besser performen.

In Bourg Saint Maurice (E) wurde es gesellig: fünf Motorradfahrer aus Wuppertal und elf von der Ostalb kamen ins gleiche Hotel. Die Wuppertaler haben mich direkt adoptiert – ein sehr netter Abend!

Die Fahrt zur Cime de la Bonette war ein Traum: 45 Minuten die Passstraße komplett für mich alleine. Postkartenwetter, traumhafte Landschaft – und Murmeltiere, die wohl so früh noch keinen leisen Besucher erwartet hatten.

Nach dem Izoard formierte sich zufällig eine kleine „multinationale“ Gruppe: zwei Deutsche, zwei Italiener. Am Col de Vars wurde es sportlicher. Einer der GS-Fahrer versuchte, sich abzusetzen – in den Kehren machte er tatsächlich mehr Schräglage, aber beim Rausbeschleunigen war mein Drehmoment einfach zu viel. Als er mich vorlassen wollte, habe ich dankend abgewunken. Oben am Pass gab’s dann ein freundschaftliches Fachsimpeln – er auf dem Weg zur Côte d’Azur, ich zur Toskana.

Am Passo del Bracco (19) wurde ich von einem Italiener im T-Shirt und Jeans auf einer japanischen Supersportlerin überholt. Er fuhr so flott, dass ich nach zehn Minuten abwinkte – kannte die Strecke zu gut und legte Schräglagen in unübersichtlichen Rechtskurven hin, die mir einfach zu heiß waren.

Vor dem Ofenpass (26) warteten wir alle brav an einer Baustellenampel: Harley-Fahrer, KTMler – und ich. Viele guckten irritiert, weil mein Motorrad im Stand nichts von sich gab. Einer suchte verzweifelt nach meinem Auspuff – fast wäre er dabei umgekippt.
Die schnelle KTM-Truppe „begleitete“ mich dann über den Umbrail (27) zum Stilfser Joch (28). Die Südrampe runter sind wir von oben in die Wolken eingetaucht und ich habe dann bei ca. 2000m Höhe gewendet. Auf dem Rückweg zum Joch klebte ein silberner Lotus hinter mir. In den Kurven immer knapp an mir dran, nach den Kurven konnte ich wieder Abstand machen – vier Reifen bremsen eben besser als zwei. Auf der Franzenshöhe(P) haben wir uns dann getroffen: Er begeistert von meiner Beschleunigung aus den Kehren, ich von seiner Kurvengeschwindigkeit.

Nebenbei habe ich dort auch einen Radfahrer wiedergetroffen, den ich bergauf überholt hatte. Er war aus Seattle und mit Bruder und Freundin unterwegs – Respekt vor dieser Leistung. Er wiederum staunte über mein lautloses Vorbeiziehen.

Ein Highlight: Am Sonntag 14. September gegen 9:30 begegnete mir bei Kehre 15 am Stilfser Joch eine weiße ZERO SR/S – das einzige andere Elektromotorrad der ganzen Tour das ich bemerkt habe.

Auf den Pässen sucht jeder für sein Motorrad die Ideale Posing-Position. Dank meinem Rückwärtsgang hatte ich viel mehr Auswahl. Denn wo ich vorwärts rein fuhr kam ich mit Rückwärtsgang immer alleine wieder raus.

In Isny nutzte mein Freund die Gelegenheit für eine Probefahrt. Als eingefleischter BMW-Fahrer (R1300GS, R9T, F800GS) war ihm mein Motorrad „zu kippelig“ und hatte „zu wenig Motorbremse“. Trotzdem war er bei 150 km/h!
Ich deute das mal so:
kippelig = wendiger als seine BMWs, Motorbremse = Rekuperation erzeugt mehr Energie aber bremst weniger, und 150 km/h = die Beschleunigung hat ihn gepackt.

Als Freizeitmotorradfahrer bin ich mit dem guten Gefühl nach Hause gekommen, dass ich durch mein Hobby weder Menschen mit Lärm genervt noch Abgase hinterlassen habe. Dank der besonderen Physik des E-Motorrads hat das Fahren sogar noch mehr Spaß gemacht – leiser, sauberer, leichter, aber keineswegs langweiliger. Es ist eindeutig die Zukunftstechnik fürs Hobby Motorrad … wobei, ehrlich gesagt: Für mich ist es schon Gegenwart.



Ach ja: Schon vor der Tour hatte ich mir ein T-Shirt mit Symbolen bedrucken lassen. Sehr praktisch – statt radebrechendem Multilingualismus musste ich unterwegs oft nur auf meine Brust zeigen.
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Re: Ca. 30 Pässe, 80.000 Höhenmeter, 2500km; 8 Tage, elektrisch: Wie geht das?

Beitrag von dominik »

Toller Bericht und schöne Streckenwahl.

Die meisten Strecken bin ich auch schon gefahren, unter anderem auch mit stinkenden Zweitaktern und stinkendem alten VW Bus. :D
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Re: Ca. 30 Pässe, 80.000 Höhenmeter, 2500km; 8 Tage, elektrisch: Wie geht das?

Beitrag von conny-r »

Herzlichen Dank,

die reinste Fleißarbeit. Toller Bericht.

Allzeit Gute Fahrt. :)
Gruß Conny

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Beitrag von STF2023 »

Ich habe noch eine Anekdote vergessen:
In Menton war ich mit dem Laden fertig und hatte schon abgesteckt, da fuhr ein Tesla S ein und steckte das Kabel ein.
Dann kam er zu mir und teilte mir im besten Französischenglisch mit, dass das verboten ist. Wenn die Polizei das mitbekäme, würde ich einen Strafzettel bekommen.
Auf meine Rückfrage „Was ist denn verboten?“ meinte er, dass der Platz für Elektroautos reserviert wäre.
Ich habe ich dann korrigiert: Der Platz ist für Elektrofahrzeuge reserviert und ich dürfte hier stehen.
Seine Reaktion: „Nein, Motorräder dürfen das nicht.“ Ich:“ Elektromotorräder dürfen das!“
Dann wurde er nachdenklich und lief erstmal um mein Motorrad herum. Dann die vorsichtige Frage: „Ist das elektrisch? Gibt es die schon?“ Ich habe ihm dann die Ladebuchse gezeigt.
Er hat sich dann höflich verabschiedet ;)
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